Warum ich jetzt so selten im Forum bin, hat einen Grund: Ich bin im Garten und in den Gehegen, vor allem wenn so schönes sommerliches Wetter ist. Derzeit wächst und gedeiht alles und freut sich des Lebens.

Man muss zugeben: Eigentlich ist noch viel bei unseren Viechern unerforscht. Einiges wissen wir ziemlich sicher, bei anderem tappen wir im Dunkeln. Von dem wenigen, was wir wissen, erlauben wir uns Rückschlüsse auf weitere Gebiete - und wir glauben oft, dass diese Rückschlüsse stimmen. Es wurden und werden aber jahrzehntelang haarsträubende Dinge behauptet, die zum Teil fatal sind, wie das Rezept vom langsamen temperaturmäßigen Hochquälen nach der Hibernation. Was tödlich enden kann. Wir glauben also viel und die Gruppen im Internet haben ja oft sektenartige Züge, wobei jeder niedergemacht wird, der etwas vorsichtig gegen die geltende Meinung äußert.

Ich bin für die Grundregel: Die Natur ist uns eine gute Lehrmeisterin!

"Bruten im Glashaus oder Frühbeet (= "Naturbruten", ausgebrütet ohne Inkubator) zeitigen lauter Männchen!" Das ist die unwidersprochene Meinung in Schildkrötenkreisen. Ich will dem nicht von vornherein widersprechen, sondern nur ein paar Fragen dazu stellen. Vor allem wenn ich höre, dass drei Naturbruten bei @Hannelore sich als Weibchen erwiesen haben.

Man hat erforscht, dass die Temperatur weitgehend das Geschlecht des Tieres im Ei festlegt. Höhere Temperaturen bringen vorwiegend Weibchen, niedrigere Männchen. Diese Geschlechtsfestlegung erfolgt so ungefähr am 20. Tag. @gunda hält sich daran und der Erfolg zeigt, dass an der Sache was dran ist. Nachzulesen auf ihrer vorbildlichen Homepage unter "Zucht": http://testudoland.npage.de . Die Temperatur, ab der vorwiegend Weibchen schlüpfen, ist bei etwa 32 °. Man nennt sie Scheiteltemperatur.

Und da staune ich und Fragen en masse drängen sich mir auf: Was wollte die Natur mit einem solchen ziemlich mechanistischen Konzept? Vielleicht ist es gar nicht so mechanistisch und wir wissen noch nicht alles? Müsste ich da nicht in Küstennähe in der Südtürkei fast lauter Weibchen haben und in den kühleren Regionen Bulgariens vorwiegend Männchen? Wir wissen, dass die Tatsachen das nicht bestätigen. Ist die Scheiteltemperatur überall gleich? Ist sie artabhängig? Ist sie genetisch als Absolutum festgelegt oder ist die relativ? Wenn relativ, relativ in Bezug auf was? In Bezug auf den Temperaturverlauf während des ersten Teils der Inkubation? Klimaabhängig? Ist es immer so der 20. Tag? Bei uns brauchen die Eier in Inkubatoren normalerweise nur 60 - 70 Tage, auch bei Nachtabsenkung. Darf ich dann schließen, dass z.B. in Bulgarien im Habitat dieser Zeitpunkt nicht um den 20. Tag liegt, wenn die Eier von Juni bis September in der Erde liegen, bevor geschlüpft wird, also um mindestens ein Drittel länger?

Wenn ich dass alles bedenke, so kann die Meinung, dass Naturbruten vorwiegend Männchen sind, vielleicht stimmen, aber die Hand dafür ins Feuer möchte ich nicht legen. Vielmehr dürfte es so sein, dass das Geschlechterverhältnis so sein wie im Habitat. Gut, das ist jetzt auch eine Vermutung.

Was ich meine: Das mit dem Scheitelpunkt wurde unter normierten Verhältnissen im Inkubator festgestellt. Und da wir auch Inkubatoren verwenden, halten wir uns an diese Erkenntnis und haben auch Erfolg. Das entspricht aber nicht den Verhältnissen in der Natur.

Wir schleudern Unmengen Energie durch die Inkubatoren beim Fenster raus. Dass das nicht so sein muss, habe ich vor ein paar Jahren gemerkt, als ich in der Trette (verglaster Gang) inkubiert habe. Da waren die Eier zwar im Inkubator, gelaufen ist er aber fast nie, höchstens ganz in der Früh. In der Nacht war er eh ausgeschaltet, und am Tag hatte es fast immer so hohe Temperaturen, dass der Thermostat nicht in Funktion trat.

Ich glaube also, man müsste es wirklich probieren, zumindest in den wärmeren Gebieten, wie dem Weinviertel. Und wenn man ganz sicher gehen will, könnte man ja in den kritischen Tagen den Inkubator einsetzen, um hohe Temperaturen zu erzeugen, in der restlichen Zeit aber die Natur machen lassen. Ich bin überzeugt, dass würde wunderschöne, gesunde Tiere hervorbrigen.

Liebe Grüße

Herbert

Zitat von Mayer im Beitrag #1

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Vor allem wenn ich höre, dass drei Naturbruten bei @Hannelore sich als Weibchen erwiesen haben.

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Zitat von Mayer im Beitrag #1

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Und wenn man ganz sicher gehen will, könnte man ja in den kritischen Tagen den Inkubator einsetzen, um hohe Temperaturen zu erzeugen, in der restlichen Zeit aber die Natur machen lassen.

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Hallo,
genau, wie Gunda beschreibt, inkubieren wir nach Berechnungen. Im Habitat bestimmt das aktuelle Wetter, da wird das Geschlechterverhältnis, sowie die Brutdauer schwankender sein.

Was mir aber sofort durch den Kopf ging, dass wir, die in Gefangenschaft halten, von günstigeren Geschlechterverhältnissen abhängiger sein, als die Tiere im Habitat.
Sicher achtet niemand darauf, dass ein Männchen auch 3 Weibchen zur Verfügung hat, oder?
Es werden sicher in manchen Jahren mehr Männchen, im nächsten mehr Weibchen schlüpfen.

Da es aber in unseren Breiten ja anscheinend schon genügend Männchen gibt, sollte man nicht bewußt darauf inkubieren. Alleine schon wegen der Verträglichkeit, wenn kleine Tiere gerne als Gruppe abgegeben werden.

Soweit brauch die Natur natürlich nicht planen ;)

Richtet die Natur es wirklich so ein, dass 75% der Tiere Weibchen sind? Ich hatte als Kind mal einen Film gesehen, in dem es hieß, die Männchen töten sich im Kampf, damit es nicht so viele gibt. Das fand ich schrecklich, besonders den Satz des Kommentators:" Und so verendet der auf dem Rücken liegend zurückgelassene Verlierer dann qualvoll in der Glut der Sonne." Jahrelang habe ich mich gefragt, ob die Journalisten "der Natur ihren Lauf" gelassen hatten oder das arme Tier wieder umgedreht.

LG, Anna

Es liegt wohl auf der Hand, dass die Scheiteltemperatur artenabhängig ist. Und wie Gunda berichtet, hat das die Forschung auch bestätigt. Was heißt es aber, dass es artenabhängig ist? Dass das an einer Population festgestellt wurde?

Nehmen wir mal die europäischen Sumpfschildkröten, die sehr weit verbreitet sind. In den Donauauen bei Wien und an einem Flüsschen bei Antalya, könnte da dieselbe Scheiteltemperatur festgestellt werden? Wenn ja, wäre das sensationell und ungewöhnlich. In den Donauauen hätten wir dann Männerüberschuss, bei Antalya herrschten die Frauen vor. Oder ist die Scheiteltemperatur der Art vielmehr im Laufe der Zeit sekundär erworben und richtet sich nach dem, wo die Tiere leben?

Artenabhängig: In Bulgarien leben Ibera und Boettgeri friedlich nebeneinander. Zwei Arten. Hätten sie verschiedene Scheiteltemperaturen wären die Geschlechterverhältnisse in der jeweiligen Population anders. Das ist aber sehr unwahrscheinlich und müsste erst bewiesen werden. Oder dass die Ibera eine höhere Scheiteltemperatur hätten, geht die Mär. Wer sagt das? Und aufgrund welcher Voraussetzung sagt er das?

Ändert sich die Scheiteltemperatur, wenn die Tiere längere Zeit außerhalb des ursprünglichen Habitats leben?

Ein weites Forschungsfeld....

Ich glaube (Glauben heißt nix wissen!), die Scheiteltemperatur konnte sich evolutionsgeschichtlich halten, weil sie eine flexible anpassungsfähige Konstante ist.

Liebe Grüße!

Herbert

Ich muss einem eventuellen Missverständnis vorbeugen: Ich will auf keinen Fall dagegen polemisieren, dass man auf die Scheiteltemperatur hin brütet und vielleicht sogar in der kritischen Zeit ein bisschen darüber hinausgeht, um ganz sicher zu sein.

Das ist äußerst sinnvoll und bewährt.

Liebe Grüße!

Herbert

Zitat von Anna im Beitrag #5

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Richtet die Natur es wirklich so ein, dass 75% der Tiere Weibchen sind? Ich hatte als Kind mal einen Film gesehen, in dem es hieß, die Männchen töten sich im Kampf, damit es nicht so viele gibt. Das fand ich schrecklich, besonders den Satz des Kommentators:" Und so verendet der auf dem Rücken liegend zurückgelassene Verlierer dann qualvoll in der Glut der Sonne." Jahrelang habe ich mich gefragt, ob die Journalisten "der Natur ihren Lauf" gelassen hatten oder das arme Tier wieder umgedreht.

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Zitat von Mayer im Beitrag #1

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Ich glaube also, man müsste es wirklich probieren, zumindest in den wärmeren Gebieten, wie dem Weinviertel. Und wenn man ganz sicher gehen will, könnte man ja in den kritischen Tagen den Inkubator einsetzen, um hohe Temperaturen zu erzeugen, in der restlichen Zeit aber die Natur machen lassen. Ich bin überzeugt, dass würde wunderschöne, gesunde Tiere hervorbrigen.

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Es könnten ja mal verschiedene Forenmitglieder, die ja an unterdchiedlichrn Orten wohnen, Bodenmessungen in ihren Gehegen in der Eiertiefe machen. Man müsste dann eine Startzeit festlegen und die Temperaturkurfe mit solchen aus den Habitaten verglwichen. Gibt es solche Temperaturkurven aus überwachten Gelegen?

LG, Anna

Zitat von Anna im Beitrag #11

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Es könnten ja mal verschiedene Forenmitglieder, die ja an unterdchiedlichrn Orten wohnen, Bodenmessungen in ihren Gehegen in der Eiertiefe machen. Man müsste dann eine Startzeit festlegen und die Temperaturkurfe mit solchen aus den Habitaten verglwichen. Gibt es solche Temperaturkurven aus überwachten Gelegen?

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Liebe Marianne, das klingt sehr logisch, nur liegen die Eier halt flacher vergraben als die Tiere während ihrer Starre (okay, wenn es keine Thh sind). An der Erdoberfläche könnte die Temperatur stärker schwanken. Wir haben hier oft sehr verregnete Phasen, dann wird es plötzlich sehr heiß... ob das in den Habitaten auch so extrem schwankt wie im Rheinland?
LG, Anna